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Baustelle
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Beitrag zur Erweiterung des Dokumentations- und Informationszentrums Stadtallendorf

Aufgabe
Der ehemalige Verwaltungssitz der „Stadtallendorfer Sprengstoff- und Munitionsfabrik“, nunmehr Sitz des DIZ, soll um einen Erweiterungsbau ergänzt werden. Der ursprüngliche „Täterort“ birgt heute ein Dokumentationszentrum zu diesen Taten. Ungeachtet der Notwendigkeit diesen Ort als Denkmal zu schützen, irritiert die dadurch sich ergebende, undistanzierte Haltung zu der baulichen Manifestation
(Heimatstil) der „völkischen Gesinnung“ der Täter.

Die gewünschte Erweiterung eröffnet die Chance, diesen baulichen Ausdruck in einen zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen, ihn zu hinterfragen, möglicherweise zu relativieren
oder zu konterkarieren. Als Kern der Aufgabe wird gesehen, diese bisherige Distanzlosigkeit aufzuheben, sie zugunsten einer Balance zu überwinden, die der heutigen Nutzung als
Ort der Aufklärung einen baulichen Ausdruck gibt.

Konzept
Der Erweiterungsbau wird als Antithese zu dem „Aufbaugebäude“ begriffen. Ein transluzentes Volumen, seinen Inhalt preisgebend, steht im Kontrast zu der Fassadenarchitektur des Heimatstils. Seine Materialität, seine die Umgebung aufnehmende Durchlässigkeit und seine ambigue Vieldeutigkeit wird als Metapher begriffen, für das nicht endende Bemühen um Erkenntnis und Wissen. Dieses Volumen wird, soweit es die zwingenden Begrenzungen des Baufeldes zulassen,
aus der rückseitigen Positionierung herausgedreht, um ein autonomes städtebauliches Bezugssystem zu etablieren.

Durch Position und Materialwahl entsteht mittels der „Erweiterung“ das neue Zentrum des Ensembles. Das „Aufbaugebäude“ rückt nunmehr in die zweite Reihe, es legt Zeugnis ab, dient der baulichen Dokumentation des NS-Heimatstil-Kitsches.

Freiraum
Dem städtebaulichen Konzept folgend, wird der Eingangsbau zum Ankerpunkt für den neuen Platzraum zwischen Busbahnhof und „Aufbaugebäude“. Die Kraft des erratischen Würfels prägt diesem Ort, seine transluzente Erscheinung lässt Innen- und Außenraum zusammenklingen. Im Sinne der Migrationsbedeutung von Stadtallendorf entsteht hier ein Übergangsort, ein barrierefreier Aufenthaltsraum zum Ankommen, sich einzustimmen, einzutreten und sich zu
verabschieden. Die üppige Pflanzung aus Gräser und Wildstauden, eine bequeme Bank mit Rückenlehne sowie Infotafeln begleiten das Ankommen, sie bilden den Rücken des Platzes im Norden.


Die derzeit befestigte, quadratische Fläche östlich der Remise wird zu einem kleinen Park. Eine sitzhohe Einfassung gleicht die Geländehöhendifferenz zum Aufbauplatz aus. Die geplante raumbildende Baumgruppe aus Amberbaum und Gleditsi filtern den Lärm und die Sicht auf die Straße. Als
Blickfang und Schattenspender dient ein besonderer, solitärer Großbaum (z.B. Blauglockenbaum). Dieser Mini-Park ist Teil des neuen Platzraums, er bildet den Auftakt für das grüne Band.
Für den zweiten Bauabschnitt wird vorgeschlagen, ein breites, als Puffer wirkendes, grünes Aufenthaltsband im Osten anzuordnen. Es ist als mehrschichtiger, zwiebelartiger Raum gegliedert: Entlang der Straße bildet eine lockere Baumreihe aus Amberbaum, Gleditsie und Eisenholzbaum Filter
und Kulisse. Die Baumgruppen werden unterhalb der Stufenanlage wiederholt, gespiegelt, ergänzt. So entsteht ein breiter, linearer Aufenthaltsraum auf mehreren Ebenen, überstellt mit lockeren Baumgruppen. Die Stufenanlage im Osten und die Tribüne im Süden werden integriert. Eine unregelmäßige Baumstellung sowie der unterschiedliche Habitus, die kontrastreiche Blatttransparenz und bunte Farbe der klimarobuste Bäume lässt ein differenziertes Aufenthaltsband entstehen, fernab von Strenge.

Eine Folge von Bauminseln und Podesten bilden neue Kulissen, kleinteilige Räumen und neue Beispielmöglichkeiten. Die so entstehenden Freiräume orientieren sich explizit nach Südosten, sie wenden gleichsam den Blick ab von dem „Aufbaugebäude“. Es werden proportionierte nutzbare Freiräume geschaffen, die ein vis a vis für die Benutzer ermöglichen. Die Bank an der Mauer bekommt lange Sitzauflagen und wird mit dem vorgelagerten Podium und Baumkulisse
zu einer wirklichen Tribüne. Somit bilden die bauliche Fragmente und die grünen Ergänzungen,
die Geschichte und die Zukunft einen gemeinsamer Ort in Stadtallendorf. Die viele Fragen, die das Aufbaugebäude und der Aufbauplatz im Moment aufwerfen, werden weder beantwortet noch ergänzt, sie verbleiben. Die verschiedenen planerische Versuche, einen angemessenen Umgang mit der Historie oder eine Interpretation zu finden, bleiben sichtbar. Es ist und bleibt ein unbequemer fragwürdiger Ort der Verwirrung und Verwunderung, ergänzt um den neuen Aspekt des heutigen Verständnisses.

Bauwerk
Dem Konzept folgend wird der Erweiterungsbau als künftiges Zentrum des Dokumentations- und Informationszentrums begriffen. Seine Formensprache ist aus der Idee des
Ortes der Aufklärung entwickelt, der Bestandsbau wird in diesem Bild zur dokumentarischen Fußnote, nicht Ausgangspunkt einer Erweiterung sondern baulicher Beleg für die Notwendigkeit des Erinnerns und Dokumentierens.

Der Eingang des künftigen Hauptbaus befindet sich im Norden, orientiert zur neu geschaffenen Promenade. Drehung und Materialwahl unterstreichen die formale und inhaltliche
Eigenständigkeit des Baukörpers. Die Verbindung mit dem „Aufbaugebäude“ geschieht mittels
eines untergeordneten Stichs, gleichsam ein Tunnel, der in die Vergangenheit führt.
Ziel ist ein Bau ohne Eigenschaften, ein transluzenter Kubus, eine Projektionsfläche für Schattenspieles, für Bilder und Gedanken, gedacht als Metapher für den permanenten Prozess des Forschen und Dokumentierens, des Informierens und des Erinnerns. Diese gläserne, durchscheinende Hülle umschließt einen massiven Kern, ein stabiles Gerüst, gebildet aus Plattformen mit einem umlaufenden Treppenband als Erschließung und baulicher Rettungsweg. So entsteht eine einfache Grundrissfigur, sie ermöglicht immer wieder neue Interpretationen und Aneignungen.

Die Eingangsebene, in Mittellage zwischen den beiden Ausstellungsebenen in Neu- und Altbau angeordnet verbindet diese beiden. Ein räumliches Kontinuum entsteht, entsprechend der thematischen Gliederung sind so unterschiedliche Rundgänge möglich. In dem Geschoss darüber das Archiv und eine Ebene höher dann die Bibliothek mit Seminar- und Besprechungsraum. Sämtliche Nutzungsebenen, sowohl im Bestand als auch im Neubau, werden durch den im Neubau angeordneten Aufzug barrierefrei erschlossen.

Konstruktion / Nachhaltigkeit
Der massive, aus Plattformen bestehende Gebäudekern wird umhüllt von einer mehrlagigen, hochdämmenden Glashaut.
Ihre äußere Schicht besteht aus dickem, unregelmäßig gegossenen Glasplatten, die innere Schicht aus sehr leicht geätzten Glasscheiben. So verschwimmt die Außenwelt, sie wird auf unscharfe, farbige Schemen reduziert. Gleiches gilt für den Blick von außen, die Innenwelt verschwimmt, sie wird zu einer nicht ganz erklärbaren Schattenwelt, die es zu erforschen gilt. Nachts leuchtet der Kubus in die Umgebung.
Ein Bild für die Schwierigkeit einen klaren Blick auf die Vergangenheit zu haben, für die Notwendigkeit vermeintliche Eindrücke und Erkenntnisse immer wieder zu hinterfragen
und neu zu justieren. Der Gebäudekern aus sichtbarem Recyclingbeton wird kombiniert mit einem hölzernen Innenausbau, der eine angenehme Akustik und warme Atmosphäre erzeugt. Das umlaufende
Treppenband besteht ebenfalls aus Recyclingbeton, die Stufen werden geschliffen und poliert. Dieses Materialkonzept, der veredelte Rohbau, trägt dem begrenzten Budget Rechnung.


Der Betonkern dient als träge Speichermasse. Innenausbau und Hülle sind gemäß ihres jeweiligen Lebensdauerzyklusses reparier- und austauschbar sowie im Falle des Abbruchs sortenrein zu recyceln. Alle weiteren Bauteile, Technik wie Ausbau folgen diesem Prinzip. Die Massenträgheit des Betonkerns sorgt in Verbindung einer Betonkernaktivierung für eine konstante Grundtemperatur. Diese wird durch eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung ergänzt.

Arbeit
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Reinhard Angelis
Planung Architektur Gestaltung